Spiritualität und Wissenschaft, das sind zwei große Bereiche des menschlichen zivilisatorischen Denkens, die sich beide auf den spiritus , den „Geist“ zurückführen lassen, dabei aber unterschiedliche Ausformungen der Geistestätigkeit meinen – Ausformungen, die nach allgemeinem Verständnis derart weit voneinander entfernt liegen, daß ihre Vereinbarkeit in weiten Kreisen als unmöglich gilt. Gegen Anschauungen dieser Art hat der Mediziner Bahram Elahi, Sohn des großen Philosophen, Juristen und Musikers Ostad Elahi versucht, in seinem Buch „Spiritualität ist eine Wissenschaft„. Grundlagen natürlicher Spiritualität (Wien 2001)“ die beiden Systeme in Einklang zu bringen. Die weitverbreitete Scheidung der Lebensbereiche „Spiritualität“ und „Wissenschaft“ ist ein Produkt des westlichen Denkens der Neuzeit, eines Denkens, das im Mittelalter noch unbekannt war. Diesen letzten Teilsatz gilt es zu hören, ohne freilich dabei zu werten, denn ansonsten läuft man leicht Gefahr, den gängigen Klischees vom Mittelalter als einer „dunklen, finsteren Welt“ anheimzufallen, die erfüllt war „von geistigem wie realem Unvermögen“ und damit eine Weltsicht zu übernehmen, die die historische Forschung heute längst überwunden hat. Eine neue Sensibilität, eine veränderte Sicht der Dinge erlaubt es vielmehr, sich dem Mittelalter und seiner Gedankenwelt wieder vorurteilsfrei zu nähern
Der Vortrag konzentriert sich auf das byzantinische Mittelalter, auf eine in Westeuropa weithin unbekannte Welt des Ostens, die je nach Standpunkt und Herkunft der Betrachter als „europäisch“ oder als „orientalisch“ eingestuft wird, die aber in jedem Fall durch ihre geographische Lage und die Kontakte zum Westen wie zum Orient eine wichtige Position innehatte und für vierlerlei Anregungen offen war. Hier geschah geistesgeschichtlich höchst Bedeutsames: das Buch wurde als Medium der Texttradierung erfunden, das antike Bildungsgut, die Resultate des antiken wissenschaftlichen Denkens wurden über mehr als eintausend Jahre tradiert (und teilweise auch fortentwickelt), das Mönchtum fand seine Entstehung, das Christentum wurde durch die Überlegungen östlicher Theologen entwickelt und ausgeprägt.
Im Vortrag sollen einige Stimmen aus unterschiedlichen Bereichen der byzantinischen Spiritualität und Wissenschaft Gehör erhalten, besonders geht es dabei um die Bemühungen, die wissenschaftlichen Vorstellungen der Antike von der Gestalt der Erde und des Universums mit den christlichen kosmologischen Vorstellungen in Einklang zu bringen. Anschließend begleiten wir die byzantinischen Pilger, die ein Paradebeispiel für Reisende darstellen, die sich gleichermaßen im realen Raum wie in der spirituellen Welt bewegen, auf ihren Wegen zu den Heiligen Stätten. Ihre Stellungnahmen in Bezug zu setzen zu einigen wesentlichen Aussagen des gelehrten Philosophen Ostad Elahi, der gleich ihnen in der spirituellen wie in der realen, wissenschaftlichenWelt beheimatet war, stellt ein reizvolles Unterfangen dar, das die zeitlose Gültigkeit einiger grundsätzlicher Beobachtungen zu offenbaren vermag.