„Burn-out“ – Interview mit Prim. Univ.Prof. Dr. Michael Musalek

Interview mit Prim. Univ.Prof. Dr. Michael Musalek zum Thema „Burn-out“

 

Ist die Diagnose „Burn-out-Syndrom“ eine „Modeerscheinung“?

Prim. Univ.Prof. Dr. Michael Musalek: „Burnout ist keineswegs nur eine Modediagnose unserer Zeit, sondern ein heute immer häufiger zu beobachtendes Leidensphänomen, dessen Verlaufsdynamik einerseits von der jeweiligen besonderen Arbeitssituation, anderseits aber auch ganz wesentlich vom allgemeinen Zustand des Betroffenen und seinen Umgangsmöglichkeiten mit Arbeitsbelastung bestimmt wird.

„Ich bin völlig erschöpft. Ich bin so müde und ausgelaugt. Ich bin es leid, so weiter zu tun. Ich kann nicht mehr. Alles ist gegen mich. Ich gehöre einfach nicht mehr dazu. Nichts geht mehr, ich schaffe das alles nicht mehr. Ich bin am Ende.“ Das alles sind Sätze von Betroffenen, die bezeugen, das Burnout nicht nur ein ökonomiegeborenes Phantasiegebilde, sondern für die davon Betroffenen bittere Realität ist.

Der Begriff „Burn-out“ selbst wurde vom Psychiater und Psychoanalytiker Herbert Freundenberger bereits im Jahr 1974 geprägt. Er betitelte damit ein klinisch-psychiatrisches Zustandsbild, das bei helfenden Berufen überzufällig häufig in Erscheinung tritt und das von Leistungsverlust, Überforderung bis hin zur Erschöpfung und abweisender zynischer Haltung anderen gegenüber geprägt ist.

In den allermeisten Fällen ist ein Burn-out eng verbunden mit anderen psychischen, körperlichen und/oder sozialen Störungen bzw. Erkrankungen. Wie zum Beispiel Arbeitssucht im Besonderen. Aber auch Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitstörungen, Interaktionstörungen, Partnerschaftprobleme und körperliche Erkrankungen wie Störungen des Herz-Kreislaufsystems, des Verdauungs -und des Immunsystems, um nur einige wenige hervorzuheben, treten oft gemeinsam mit einem Burn-out in Erscheinung.
Der Komplexität des Leidens bzw. des Krankheitsgeschehens entsprechend ist eine zielführende Behandlungsführung nur dann möglich, wenn sie auch komplexe prozessorientierte und ressourcenzentierte Behandlungsangebote umfasst, die darauf fokussieren, dem für das Burn-out so typischen „Möglichkeitenverlust“ entgegenzuwirken und den Betroffenen wieder Zugang zu Lebensfreude zu öffnen.“

Wie kann eine „universale Ethik“ in der Prävention und Therapie des Burn-out-Syndroms helfen?

Prof. Musalek: „Hier möchte ich zwei ethische Werte nennen: Fairness und Wertschätzung. Das Entscheidende ist Fairness und Wertschätzung gegenüber anderen. Wenn es keine Fairness bei der Arbeit gibt, ist dies ein Alarmzeichen.
Wenn die Arbeitsleistung einer Person nicht geschätzt wird, kann es zum Burn-out führen.“

Sie führen in Ihren Vorträgen Spiritualität als wichtige Quelle für Prävention und Therapie eines Burn-out-Syndroms an. Was verstehen Sie unter „Spiritualität“? Gibt es Ihrer Erfahrung nach eine „universale Spiritualität“, die jede(r) anwenden kann, um geheilt zu werden? Wenn ja, könnten Sie uns ein Beispiel nennen? Haben Sie ein Vorbild in Bezug auf Spiritualität und universale Ethik? Was zeichnet diese Spiritualität und Ethik Ihrer Meinung nach aus?

Prof. Musalek: „Meiner Meinung nach hat die wahre Spiritualität nicht unbedingt etwas mit Religion bzw. Konfession zu tun und schon gar nicht mit billiger Esoterik, sondern mit dem, was man transzendentale Kraft nennt. Es ist der Glaube an eine Quelle aus dem ich Kraft schöpfen kann und Geborgenheit erleben kann. Für manche ist es Gott, für manche eine Religionsgemeinschaft, für manche die Natur und für manche der Glaube an den Sinn des Lebens, für manche das Aufgehen im Schönen.
Die universale Spiritualität sind meiner Meinung nach die ethischen Prinzipien, die universal sind und die jeder anwenden kann wie Güte und Empathie, Dankbarkeit und Fairness, Wertschätzung und Liebe was man für sich wünscht auch für andere zu wünschen und zu tun etc. Es gibt viele Vorbilder, deren Lehre für mich spirituell und universal ist.“

An welche Vorbilder denken Sie da?

„Ich denke da zum Beispiel an Buddha, Zarathustra und Ostad Elahi, um nur drei aus der Gemeinschaft der Vielen herauszuheben. Alle haben uns Lebensgrundprinzipien mitgegeben: Ein Leben im Einklang mit uns, mit den Mitmenschen und der uns gegebenen Natur, womit wir selbst zum Teil der Weltschöpfung und gleichzeitig auch zum Weltenschöpfer werden.“

Erzählen Sie uns bitte mehr von Ihrem ‚Orpheus-Programm‘.

Prof. Musalek: „In der griechischen Mythologie waren die Sirenen die berühmt berüchtigten Vogel-Menschen der Antike, die durch ihren süßen und verführerischen Gesang den vorbeifahrenden Schiffern Schönheit und Genuss versprachen, jedoch Tod und Verderben brachten. Wer die Sirenen hörte, verfiel ihnen. Zwei berühmte Helden der Antike kamen unverwundet und lebend an den Sirenen vorbei: Odysseus und Orpheus.

Odysseus ließ sich von seinen Kameraden an einen Schiffsmast binden und befahl den Ruderern, sich die Ohren mit Wachs zu versiegeln, um der Verführung stand zu halten. Kampf, Zwang und Selbstgeißelung – eine Methode, die in der heutigen Suchttherapie wenig empfehlenswert ist.
Orpheus wählte eine andere Methode. Als er und die Argonauten an den Sirenen vorbeischifften, nahm er seine Leier und sang so schön, dass er die Sirenen übertönte – er machte einfach die bessere Musik und ließ damit die Sirenen verstummen. Im Rahmen des Orpheusprogramms versuchen wir, Menschen dabei zu helfen, «besser und schöner zu singen», ihre eigene Kreativität und Ausdrucksmöglichkeiten zu entdecken, um den „Verlockungen“der Suchtmittel andere Strategien entgegensetzen zu können.“

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Prof. Musalek: „Es gibt verschiedene Module wie zum Beispiel Genussintensivierungs-Module, Kreativitäts- und Körperwahrnehmungs-Module, philosophische Gruppen und Musikprojekte:
Orpheus hat mit seiner Laute die Sirenen bezwungen. Daher ist es naheliegend, im Rahmen des Orpheusprogramms auch Musikprojekte für stationäre PatientInnen anzubieten und damit einen weiteren Beitrag zur Vermittlung von sinn- und freudvollen Aktivitäten zu leisten. In jedem Fall geht es darum die eigenen Möglichkeiten zu einem schönen Leben zu entwickeln und zu entfalten: Das Mögliche möglich zu machen.“