Ethik und Literatur: Ein Überblick über die Werke eines Philosophen und Juristen

So wie bei vielen anderen zeitgenössischen Autoren, sind auch die Werke von Ostad Elahi untrennbar mit den Ereignissen und Erfahrungen verbunden, die sein Leben formten. Mithilfe einer chronologischen Herangehensweise erforscht Dr. Nasseri die verschiedenen Werke dieses innovativen Mystikers, Philosophen und Juristen im Kontext jeder der Phasen seines Lebens: Einer Jugend, in Askese und Anbetung verbracht, einer sich auszeichnenden und langen juristischen Karriere und einem aktiven Ruhestand, der Nachforschung und dem Verfassen von Schriften gewidmet.

Seine ersten Werke verfasste Ostad Elahi bereits als Kind, in Form zahlreicher Notizbücher, die er meist mit Gedichten füllte. Diese Verse wurden niemals veröffentlicht. Warum fasste das Kind Ostad, das gerade erst lesen und schreiben gelernt hatte, seine Gedanken ausgerechnet in Verse? Dies mag nur auf den ersten Blick überraschend erscheinen, doch wenn man die Natur der mystischen Literatur seit Jahrtausenden betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass Poesie einer höheren Quelle entstammt, so wie Sokrates sagt; „Poesie stammt nicht vom Poeten, sondern von einem Geschenk der Natur und einer Inspiration, Ähnlich wie der von Wahrsagern und Orakeln.“1 In Östlicher Literatur gilt es als gegeben, dass Poesie eine Vision der spirituellen Welt darstellt und sich Rhapsodien im Poeten bilden, die schwallartig aus ihm hervorbrechen. Doch auch in westlichen Werken, wie Dantes „Göttlicher Komödie“ lässt sich das Resultat einer Vision erkennen, die die Natur des Dichters transzendieren muss. Somit stellt der Dichter oft das Medium zur Ubermittlung einer Botschaft dar; je näher er der göttlichen Quelle ist, desto reiner ist die Botschaft.
Der Stil der Werke der ersten dreissig Jahre von Ostads Leben wird in der mystischen Literatur als „Kashfiat“ bezeichnet, was innere Visionen der Wahrheit oder intuitive Wahrnehmungen von unsichtbaren Tatsachen bedeutet. Eines seiner Werke dieser Periode trägt den Namen „Enthüllung der Wahrheit„; eines der Kapitel dieses Buches („Die Schöpfungsgeschichte“) wurde ins Deutsche übersetzt2.
Im Jahr 1933, als Ostad Elahi sein zurückgezogenes Leben in Askese verliess, um sich den Herausforderungen eines modernen Großstadtlebens zu stellen und seine Laufbahn als Richter zu beginnen, endete auch seine Schaffensperiode im „Kashfiat„-Stil; von nun an schrieb er im „Toujihat„-Stil, was so viel wie „Rationale Rechtfertigungen“ bedeutet. Es scheint, als wäre Ostad Elahi nun zu dem Schluss gekommen, dass traditionelle Mystik dem Heute nicht mehr angepasst ist, auch dass der moderne Mensch vielmehr rationale und greifbare Erklärungen erwartet, die er durch persönliche Erfahrungen prüfen kann und er nicht mehr von Inspirationen überzeugt werden kann.
Während seiner aktiven Zeit als Richter verfasst Ostad Elahi zahlreiche juristische Texte, die sich durch ausgesprochenes Fachwissen auszeichnen und Zeugnis geben von seiner Arbeitsethik und Gewissenhaftigkeit auch in beruflichen Belangen. Ostad Elahi widmete sich nach seiner Pensionierung als Präsident des Berufungsgerichts vollkommen der Recherche und dem Schreiben und veröffentlichte mehrere Bücher, die das Ergebnis eines Lebens darstellen, das der Forschung und persönlichen Erfahrung gewidmet war. Den wesentlichsten Teil seines Werkes hinterliess er jedoch in Form seines mündlichen Unterrichts im Rahmen von informellen Zusammenkünften, die in seinem Haus in Teheran stattfanden, wo er Menschen und Ratsuchende aus aller Welt herzlich willkommen hieß. Viele sahen Ostad als Heiligen und suchten seinen Segen für sich und ihre Familie. Für andere war er eine weise, erfahrene, vertrauenswürdige Person, die Lösungen für ihre Probleme bieten konnte. Andere wiederum kamen, um seine Musik zu hören. Viele erinnern sich an die warme Atmosphäre dieser Zusammenkünfte. In klaren und einfachen Worten sprach Ostad über Themen wie die Prinzipien der Vervollkommnung, Selbsterkenntnis, die andere Welt, die Eigenschaften verschiedener Nahrungsmittel oder Objekte, die Pflichten gegenüber der Familie oder ethische Prinzipien und deren Anwendung in der Gesellschaft. Viele dieser Diskussionen wurden niedergeschrieben und veröffentlicht3. Der Inhalt dieser mündlichen Vorträge zeigt dem Leser, wie die theoretischen Prinzipien von Ostad Elahi erst in der täglichen praktischen Anwendung in seinem sozialen, familiären und beruflichen Umfeld ihre volle Bedeutung entfalten.
Eine kurze Einführung zu dem universellen Denken Ostad Elahis kann im Buch „100 Maxims of Guidance“ (Laffont, 2000) gefunden werden.
Heute liefert sein Sohn Bahram Elahi dank einer beträchtlichen Synthese- und Schreibarbeit auf Basis von neu übertragenen damaligen Niederschriften und Tonbandaufzeichnungen einen Zugang zur Philosophie seines Vaters, deren Depositar er ist. Bahram Elahi hat durch die einfache und verständliche Darstellungsart der wichtigsten Leitgedanken sein Werk „La Voie de la Perfection“ (Michel, 2002) als Abriß dessen entworfen, was er als die natürliche Spiritualität bezeichnet.
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1Apologie des Sokrates, Platon
2Zu finden in „Grundlagen natürlicher Spiritualität -Eine wissenschaftliche Annäherung an die Rechte und Pflichten des Menschen.“, Bahram Elahi, Ibera Wien 1999

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