Juristen lernen im Laufe ihres vierjährigen Studiums, aber auch später in der Praxis, dass eine Entscheidungsfindung insbesondere rechtskonform zu sein hat und dass das Verfahren, welches zu dieser Entscheidung führen soll, rasch, einfach, zweckmäßig, wirtschaftlich oder sparsam zu sein hat. Dass eine Entscheidungsfindung jedoch ethisch zu sein hätte, wird man vergeblich im Studienplan der Rechtswissenschaften finden.
Die Rechtsordnung bei Asylverfahren ist sowohl durch internationale als auch durch innerstaatliche Rechtsquellen determiniert. International ist dies vor allem die Genfer Flüchtlingskonvention, aber auch einige europarechtliche Bestimmungen, national hingegen insbesondere das Asylgesetz aus dem Jahre 2005. Den Richtern am Asylgerichtshof ist durch diese Rechtsordnung ein ziemlich enger Rahmen gesetzt.
Dies beginnt bereits mit dem Flüchtlingsbegriff der anzuwendenden Rechtsquellen. Diese sehen im Prinzip übereinstimmend vor, dass ein Flüchtling eine Person ist, die fünf wesentliche Kriterien erfüllen muss: Verfolgung, Vorliegen eines Verfolgungsgrundes im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wohlbegründete Furcht, Aufenthalt außerhalb der Heimat und fehlender Schutz durch den Heimatstaat.
Bei den Verfolgungsgründen werden erneut fünf Gründe unterschieden: Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.
Ein Flüchtling muss zwar einerseits „nur“ zumindest einen Verfolgungsgrund glaubhaft machen, andererseits jedoch alle fünf Kriterien der Flüchtlingseigenschaft.
Gelingt diese Glaubhaftmachung nicht, wäre ein entsprechender Asylantrag (eigentlich „Antrag auf Internationalen Schutz“) abzuweisen. Die Praxis zeigt, dass das größte Problem eben diese Glaubhaftmachung des Verfolgungsgrundes ist. Tatsache ist, je mehr Widersprüchlichkeiten und Unwahrheiten vorgebracht werden, desto einfacher ist es für den Richter, eine Entscheidung zu treffen, auch wenn diese negativ für den Asylwerber ausfällt.
Eine ethische Entscheidungsfindung in Asylverfahren beginnt bereits im Bestreben des Richters, dass überhaupt eine Verhandlung mit persönlichem Vorladen des Asylwerbers stattfindet, dass diese Verhandlung dann in einem angemessenen Verhandlungssaal durchgeführt wird, und dass der Richter die teilweise extreme Nervosität der Asylwerber zu mildern versucht. Dies sind wesentliche Aspekte, die auf Respekt für das Gegenüber beruhen.
Hinsichtlich der Entscheidung über die Integration des Asylwerbers hat der Richter den größten Ermessensspielraum. Zu diesen Faktoren zählen in positiver Hinsicht: eine lange Dauer des Aufenthaltes (insbesondere ab 5 Jahren), das Eingehen von Lebensgemeinschaften mit Personen mit Aufenthaltsrecht in Österreich, die Geburt und das Aufwachsen von Kindern in Österreich, gute Deutschkenntnisse, Berufstätigkeit, laufende oder abgeschlossene Ausbildungen, Mitgliedschaft in Vereinen, ehrenamtliche Tätigkeiten oder auch „Empfehlungsschreiben“ durch Nachbarn oder Freunde. Der wesentlichste negative Faktor ist eine etwaige Straffälligkeit, die zudem bei besonders schweren Delikten einen Asylausschließungsgrund oder –Aberkennungsgrund darstellen kann.
Ein Asylrichter ist tagtäglich mit Schicksalen konfrontiert, denn hinter jedem Asylwerber, der sein Land verlassen hat, steht ein bestimmtes Schicksal, auch wenn dieses nicht asylrelevant ist. DDr. Gerhold erzählt aus seiner Erfahrung, dass sich zu Beginn seiner Karriere als Asylrichter schon nach wenigen Wochen zeigte, wie erfüllend diese Tätigkeit sein kann, wenn man Personen echten Schutz bieten kann. Sehr geholfen hätte ihm dabei die Vorbereitung für einen Vortrag zur juristischen Tätigkeit des Gelehrten und Richters Ostad Elahi (1895-1974). Im Zentrum von Elahis Anforderungen an einen guten Richter stand das innere Bemühen für eine immanente Gerechtigkeit. Der Richter müsse nötigenfalls die schädlichen Auswirkungen einer gesetzlichen Regel korrigieren. Er müsse Ungleichheiten korrigieren, indem besondere Aufmerksamkeit jenen geschenkt wird, die bedürftig und schwach sind. Für diese ideale Gerechtigkeit muss der Mensch das Recht eines jeden respektieren.
Diese Erkenntnisse bewegen sich in Einklang mit der kontinentaleuropäischen Rechtsphilosophietradition von Aristoteles bis Kant. Die Forderung nach gewissenhafter Amtsausübung, Streben nach Gerechtigkeit und Achtung der Rechte eines jeden Individuums ist nach wie vor gültig. Mit der Aussage, dass jeder Mensch letztlich auch sein eigener Richter sei und 24 Stunden am Tag sein eigenes Handeln kritisch beurteilen müsse, schließt Elahi den Kreis von der Tätigkeit eines Richters zum Handeln einer jeden Person.